Sonntag, 26. September 2010

Nachtgedanken

Ich lebe seit 2,5 Jahren hier auf meinem Hof, seit 1,5 Jahren halte ich Tiere, vor gut 1 Jahr wurden die ersten Kälbchen geboren. Spätestens da war klar, dass ich nicht die Milch räubern und sie mit Milchpulver abspeisen kann, also werde ich folglich auch keinen Käse u.ä. machen.

Ich halte Rinder, eine alte Rasse, die vom Aussterben bedroht ist. Zu ihrer Blütezeit war sie die "Butterkuh des Nordens", sprich eine Hochleistungskuh, eine profitable Zuchtrasse. Jetzt erhalte ich also die Hochleistungskuh von vorgestern. Und wozu? Damit ihre Nachkommen weiterhin Milch produzieren oder Fleisch für eine ökobewusste Elite? Die die Vorreiterrolle übernommen hat, um doch wieder ganz ähnliche Strukturen zu erhalten?

Wenn das langfristige Ziel sein soll, auf Fleisch- und Milchkonsum generell zu verzichten, Gründe gibt es schließlich einige, dann macht es wenig Sinn, einen Betriebszweig zu erhalten, der seinen Bestand natürlicherweise jährlich (!) verdoppelt, im Klartext: Milchproduktion heißt Kälberproduktion, d.h. pro Kuh ein Kalb jährlich, d.h. aus einer 20-köpfigen Herde wird eine 40-köpfige, oder anders ausgedrückt, die Deutschen müssten jährlich 4 Mio Rinder essen (Rinderbestand 2010 gesamt rund 12 Mio, davon rund ein Drittel Kälber bis zu einem Jahr, PM Statistisches Bundesamt Deutschland, 1.7.2010), nur um kein weiteres Wachstum zu provozieren, von Fleischreduktion keine Spur.

Gleichzeitig kann schon jetzt ein normaler Bauer von einem Bestand von o.g. 20 Kühen nicht leben, er wird also versuchen aufzustocken, um sich und seine Familie über die Runden zu bringen. Mehr Kühe heißt aber wieder mehr Fleisch, mehr Milch, Übersättigung des Marktes, Preisverfall, weniger Einnahmen für den Bauern, mehr Kühe, ein Teufelskreis also. Einige satteln daher bereits um auf z.B. Geflügelhaltung, meist gleich im großen Maßstab, damit es sich lohnt, doch ist schon jetzt absehbar, dass der Mechanismus derselbe sein wird: mehr Geflügel, mehr Eier und Fleisch, zuviel Angebot, Preisverfall, mehr Geflügel, etc.

Was ich hier mache ist wirtschaftlich betrachtet absurd, ich halte meine Rinder ohne (sichtbaren) Gewinn, ich melke sie nicht, produziere keinen Käse und kein Fleisch. Ich erwarte zwar im Dezember noch einmal Nachwuchs, aber das ist eine Sackgasse, denn ich will nicht züchten und vermehren, um sie dann in die Mastvieh- und Milchkuhbetriebe zu schicken.

Ich bin kein Bauernkind, das damit aufgewachsen ist, dass Kühe kommen und gehen, dass Kälbchen von ihren Müttern getrennt werden, dass Kühe ihre Kleinen suchen und Kälbchen Fertigmilch bekommen, dass sie zu 4-5 in kleinen Abteilungen im Stall leben, solange sie noch mehrfach am Tag gefüttert werden müssen und erst danach natürliche Bewegungen wie rennen und springen auf der Weide kennenlernen. Ich habe aber meinen Kälbchen zugeschaut, die vom ersten Lebenstag an einen großen Bewegungsdrang hatten, ihre Beine testen und ausprobieren wollten. Ich habe das Verhältnis der Mütter zu ihren Kleinen beobachtet, das Verhalten der anderen Herdentiere, auch Artfremde. Dabei war für mich besonders interessant, mit welcher Neugier und Aufgeschlossenheit auf die Kleinen anderer Rassen zugegangen wurde. Ich habe viel gelernt in dieser erst kurzen Zeit mit meiner kleinen Herde, aber eine Bäurin bin ich nicht geworden.

Mein Traum wäre es, von meinen Beobachtungen zu erzählen, die einzelnen Tierpersönlichkeiten zu schildern und damit vielleicht einen neuen Weg zu zeigen, der für mich der einzig mögliche zu sein scheint: Verantwortung haben wir dem einzelnen Tier gegenüber, das bei uns lebt und von uns abhängig ist. Rasse dagegen ist ein Wort, das früher und auch heute schlimme Auswüchse zur Folge haben kann. Alte Rassen zu erhalten, um sie aufzuessen und auszunutzen ist für mich - leider?! - kein Ziel. Da ich aber auch nicht ewig auf die Gutmütigkeit und finanzielle Nothilfe meiner Familie angewiesen sein möchte, stellt sich natürlich für mich jetzt die Frage in aller Dringlichkeit: Was tun?

Montag, 13. September 2010

Achim sucht ein neues Zuhause


Achim, Poitou-Eselhengst, geb. 9.4.10

Mutter Riziere, geb. 28.8.05, Frankreich





Kontakt Patchworkhof (Nutztierarche)
Inga Wocker, Hasenfleet 8, 21787 Oberndorf, F: 04772/860452

Fütterung
Weidegang, Heu

frühestens ab Oktober

Sonntag, 12. September 2010

Malwine sucht ein neues Zuhause


Kuhjährling, Hörner leider abgestoßen
geb. 21.8.09

Mutter Daphne, geb. 01.08.2006
Hof Luna, W.-R. Bertram



Kontakt Patchworkhof (Nutztierarche)
Inga Wocker, Hasenfleet 8, 21787 Oberndorf, F: 04772/860452

Fütterung
Weidegang, Heu

Seit Tagen nun schon das gleiche Theater: Malwine, mein Kuhkalb ist nicht bei den anderen auf der Weide, sondern steht im Eingangsbereich, auf der Weide nebenan oder auf dem Stieg. Klar dass mich das ziemlich fuchste, schließlich waren die Weidebänder alle ordentlich freigeschnitten, es floss Strom, es war noch genug Gras auf der aktuellen Weide und Platz genug ist eigentlich auch. Jedesmal also schon mit Anspannung zur Weide, was mag jetzt wieder passiert sein, wo muss ich wieder Bänder flicken, Pfähle auswechseln, Isolatoren ersetzen, wer ist wo und warum und natürlich, wie bekomme ich möglichst unkompliziert alle dahin wo sie hingehören, etc. Innerlich verfluchte ich diese kleine, fiese Kuh, die mich so auf Trab hielt und mir den letzten Nerv raubte mit ihren Ausflügen. Wahrscheinlich ist ihr langweilig, oder sie will mit den anderen derzeit nichts zu tun haben, sie ist eben neugierig und abenteuerlustig - mal war ich einfach wütend und schimpfte, mal versuchte ich es mir zu erklären, versuchte Gründe, vor allem jedoch Lösungen dafür zu finden.

Gestern abend nun kamen mir erste Zweifel an meiner Sichtweise. Wieder sah ich sie schon beim Hochkommen draußen stehen, sie war das neue Alleestück entlangmarschiert, das Absperrband hing auf dem Boden, und die beiden großen Kühe standen innen auf der Weide auf gleicher Höhe. Ich ging also zu ihr und lotste sie wieder zurück zum Eingang, zog das Absperrband hinter ihr wieder fest und öffnete die Weide. Meine Leitstute schoss direkt auf Malwine zu, schlug heftig mit dem Kopf und hinderte sie am Reinkommen. Also erstmal das Pferd zurück in die Weide treiben, Malwine war inzwischen erneut ein Stück den Stieg hoch geflüchtet, und das obere Weideband zu. Während ich noch Melli beschimpfte und zurückdrängte, nutzte Malwine die Gelegenheit, schlüpfte rasch rein und lief mit den andern beiden Kühen Richtung hinteren Weideteil.

Heute morgen nun war es noch deutlicher. Ich war eigentlich froh, dass ich sie nicht auf dem Stieg stehen sah, merkte aber beim Betreten der Weide eine große Spannung. Alle Tiere schienen im hinteren Weideteil zu stehen, da ich direkt in die Sonne schauen musste, konnte ich nicht auf Anhieb sehen, ob alle da sind. Im Näherkommen sah ich dann, dass Malwine auf dem Stieg des Nachbarn draußen stand und sich alle anderen Tiere entlang des Bandes aufgebaut hatten. Sobald Malwine nach oben oder unten ging, folgte ihr der ganze Tross. Besonders der Hengst gallopierte ganz aufgeregt hin und her und scheuchte damit sogar meine beiden doch eher trägen Kühe auf, die nun ebenfalls gallopierten. Da es keine Lücke im Weideband gab, musste ich also irgendwo das untere Band aushängen und möglichst noch ein Absperrband quer über den Stieg ziehen, um sie wieder zurückhüten zu können. Also ging ich zurück zum Eingang, um erstmal den Strom abzustellen, die Tiere folgten mir und wieder nutzte Malwine die Gelegenheit, schlüpfte unter dem Band durch und gallopierte wie eine gesengte Sau zu ihrer Mutter.

So sieht keine Ausreißerin aus, keine, die abenteuerlustig die Welt entdecken möchte oder genug von der ganzen Bagage hat. Im Nachhinein betrachtet muss ich feststellen, dass sie stets in der Nähe der Weide blieb und die anderen Kühe in ihrer Nähe, dass sie sich recht problemlos wieder zurücklotsen ließ, also weder versuchte, vor mir zu fliehen oder in die andere Richtung wegzulaufen. Anschließend war sie dann bei den anderen Kühen und meist recht weit entfernt von Pferden und Eseln. Meine Vermutung ist jetzt, dass diese ganzen Aktionen irgendwie mit Felix und den verschiedenen Sprachen zusammenhängen: Für ihn ist es ein Spiel, junge Pferde rennen oft aufeinander zu um zu testen, wer zuerst ausweicht, um so Grenzen und Hierarchien abzustecken. Er ist dabei recht forsch, auch die Hunde fliehen recht kopflos, wenn er angallopiert kommt. Und gegenüber den Kühen kann er sich des Rückhalts seiner Pferde- und Eselkollegen sicher sein. Vielleicht ist das Ausbrechen von Malwine daher eher ein Flüchten, wenn sie in die Ecke gedrängt wird und nirgendwoanders mehr hinkann?

Jedenfalls entspannten sich alle augenblicklich, die Kühe zogen grasend ab, Pferde und Esel verteilten sich unter die Bäume und am Heuplatz und es herrschte wieder Ruhe und Frieden, als wäre gar nichts passiert. Vielleicht ist das ja Einbildung, aber ich hatte fast das Gefühl, sie waren froh, dass ich gekommen und wieder für "normale Verhältnisse" gesorgt hatte, angefangen von Felix, der gar nicht fassen konnte, dass sein Spielzeug plötzlich außerhalb seiner Reichweite war bis hin zu Tessa, die mich anschubste als wolle sie sagen "nun hilf doch endlich unserer Kuhschwester" - dabei lief es diesmal ja wirklich quasi von selbst.

Montag, 6. September 2010

Fundstück der Woche 2
(ich sortiere gerade alte Zeitungen aus...)


Von Null auf 25.000: Die Hühner kommen
Vor einem knappen Jahr legte Landwirt Eckhardt Jaeger den Grundstock für seine neue Existenz - jetzt legen rund 25.000 "Arbeiterinnen" ihre Eier auf dem größten Areal für freilaufendes Geflügel im Cuxland. Noch läuft die Schonzeit für das Federvieh, das vor wenigen Tagen seine Produktionsstätte bezogen hat. Spätestens im September beginnt der Alltag. Dann sollen hier täglich gut 20.000 Eier vom Band laufen.
(NEZ 28.8.2010)

Ahnt der Käufer von Freilandeiern, dass so die Realität von "glücklichen Hühnern" aussieht? Weiß er, dass sie 12-14 Monate Eier legen, anschließend geschlachtet werden und erst dann ihr Stall für die nächste "Hühnergeneration" saubergemacht wird? Ist allein der errechnete Lebensraum pro Huhn von "stolzen" 4 m² und die Freilauffläche ein ausreichendes Indiz für artgerechte Tierhaltung? Schaufeln sich die Landwirte mit solchen Großbetrieben nicht ihr eigenes Grab, weil die Massenproduktion von Eiern wie derzeit bei Milch die Preise verdirbt? Ist es da nicht sinnvoller die Eier beim Nachbarn zu kaufen, der sie zwar konventionell und im Stall hält, dafür aber einige Jahre und in artgemäßen Familienkleingruppen von max 20 Tieren? Dürfen wir anderen Lebewesen tatsächlich so ein Gefangenen- und Sklavenleben zumuten?

Fundstück der Woche


"Michelito" ist der jüngste Torero der Welt
Michel Luis Carlos Lagravere Peniche, genannt "Michelito" ist der jüngste Torero der Welt. Der 12-jährige bringt 400-Kilogramm-Stiere zur Strecke. Michel hat bereits als Kleinkind angefangen, Kälbern rote Tücher vor die Augen zu halten. Sein Traum ist, mit 14 den Titel Matador zu erlangen und später der beste Torero der Welt zu werden. Eine echte Alternative zum Stierkampf hat er nicht. Doch nach einigem Überlegen sagt er: "Ich würde auch gerne Kochen lernen."
(NEZ 28.8.2010)

Was wäre, wenn er auf einem Biobauernhof aufgewachsen wäre? Würde er in einem anderen Land mit seinem Berufswunsch genauso ernstgenommen und gefördert werden? Welche anderen Fähigkeiten und Talente liegen brach und werden nicht mal ansatzweise gefördert? Bekommt er mit seinem Wunsch "Kochen lernen" genauso viel Aufmerksamkeit und Unterstützung? Wessen Wunsch ist das wirklich, stecken dahinter nicht viel eher Erwachsene, die stolz sind und ihn beachten, wenn er Matador werden will?