Mittwoch, 16. März 2011

Große Betroffenheit - was steckt dahinter?

Vielleicht ist es ja ketzerisch, in einer "historischen Zeit der allgemeinen Betroffenheit" nicht in die angemessene Fassungslosigkeit zu verfallen, aber ehrlich gesagt nervt mich die Berichterstattung zum GAU in Japan ziemlich. Seit Tschernobyl dürfte jedem halbwegs intelligenten Menschen klar sein, dass sich gerade die Atomkraft eben nicht nach den Regeln der Mechanik planen und vorhersagen lässt, dass es sich um hochkomplexe Vorgänge handelt und die Folgen für die Menschheit und den ganzen Planeten unüberschaubar katastrophal sein können. Vor diesem Hintergrund seelenruhig weiterzumachen, Bedenken bedenkenlos in den Wind zu schlagen und sich mit "wird schon gutgehen" zu trösten, ist reiner Fatalismus.

Was mich aber am meisten irritiert ist die Tatsache, dass die Verantwortung - wieder einmal? - weit von sich gewiesen und an "die Politiker" delegiert wird. Da wird ein Appell an Frau Merkel gerichtet "Abschalten jetzt", da werden Menschenketten, spontane Demonstrationen und Mahnwachen organisiert, man wendet sich an "die Verantwortlichen" und übersieht dabei, dass AKWs schon längst nicht mehr laufen würden, wenn jede/r Einzelne die Verantwortung für sauberen Ökostrom übernähme und zu einem entsprechenden Anbieter wechseln würde. Und zwar nicht morgen, übermorgen oder überhaupt nicht, sondern am besten schon vorgestern, allerspätestens aber Jetzt!

Am Wochenende bin ich über eine kleine Zeitungsnotiz gestoßen: "Wunsch nach Führer. Laut einer Studie der Universität Bielefeld wächst in Europa der Wunsch nach autoritären Regierungsformen. So ist fast jeder dritte Deutsche der Ansicht, dass ein starker Mann an die Spitze gehöre, der sich nicht um Parlament oder Wahlen schert. In Großbritannien und Frankreich sehen das mehr als 40 Prozent so, in Portugal oder Polen sogar mehr als 60 Prozent. Bedenklich sei, dass sich eine Mehrheit von ihren Politikern nicht verstanden fühlt. Dieses Gefühl gehe oft mit dem Wunsch nach einer starken Führerfigur einher." (NEZ 12.3.11)

Mich erinnert das doch sehr stark an die Weimarer Republik und das darauffolgende Naziregime, doch vielleicht liegen die Wurzeln dafür sogar noch um einiges früher, denn bereits Kant hat seine Zeitgenossen aufgefordert, sich nicht alles vorkauen zu lassen, sondern den Mut zu haben, selbständig zu denken und zu handeln: "Sapere aude, habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen." Und ergänzend würde ich hinzufügen, habe Mut, die Verantwortung für dein Handeln zu übernehmen.

Wenn ich in einem Artikel lese "Die erste Entwarnung der Regierung war verfrüht - nach der automatischen Schnellabschaltung von Atomkraftwerken kam es in zwei Anlagen zu Störfällen" und fast direkt daneben "Sichere Kraftwerke. Die 17 deutschen Atomkraftwerke sind nach Ansicht der Bundesregierung auf Erdbeben vorbereitet. Die Anlagen werden bei Überschreiten bestimmter sicherheitsrelevanter Grenzwerte automatisch abgeschaltet (NEZ 12.3.11), dann frage ich mich schon, ist das Betriebsblindheit, Gedankenlosigkeit oder schlicht Verdrängung? Wie können Menschen, die in diesem Bereich arbeiten und Entscheidungen treffen, wie können aber auch die vielen Atomstromkunden ausblenden, dass etwas schiefgehen kann? Das ist die ganz normale Realität: Wenn ich mich in ein Auto, einen Zug oder ins Flugzeug setze, weiß ich, dass ein Unfall jederzeit möglich ist, nur dass ein Unfall im AKW eben nicht wiedergutzumachende Folgen für die gesamte Menschheit und unsere Umwelt haben kann.

Wenn ich im Internet über Notfallmaßnahmen in Österreich lese "Wer Kühe hat, muss sie von der Weide holen, damit sie kein verseuchtes Futter fressen" (http://derstandard.at), dann ist das für mich als Landwirtin schon ziemlich kurzsichtig, im Grunde genommen kann ich sie dann gleich zum Schlachter bringen, denn im Normalfall habe ich im Sommer vielleicht noch ein wenig Restheu vom letzten Winter, mit dem ich ein paar Tage oder Wochen durchhalten könnte, artgerechte Tierhaltung wäre das sowieso nicht, doch was dann? Gras ist verstrahlt, Kühe, die es fressen auch, Milch und Fleisch werde ich nicht los und das für sehr sehr lange Zeit.

Wenn Campact über Appelle und Aktionen berichtet "Drücken auch Sie bei Ihnen vor Ort Ihre Betroffenheit über den Reaktorunfall in Japan aus und fordern Sie Konsequenzen ein" (Newsletter 13.3.11), dann frage ich mich wirklich, ist dieser Fall jetzt tatsächlich so überraschend über uns hereingebrochen, dass wir davon völlig überrumpelt sind, uns verwundert die Augen reiben und gar nicht glauben können, dass so etwas überhaupt möglich ist? Ich war 1986 noch eine 13jährige Schülerin und dachte damals, innerhalb der nächsten 3-5 Jahre sind die AKWs Geschichte. Denn Forschung und Entwicklung können unglaublich schnell sein, denken wir nur an den Wettlauf um die erste bemannte Raumfahrt oder die rasanten Fortschritte in der Atomwaffen- und U-Boot-Technik im Zweiten Weltkrieg, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Wir alle, die also Tschernobyl miterlebt haben, können nicht sagen, dass wir "nichts gewusst" haben. Jede/r Einzelne trägt dementsprechend die Verantwortung für alle nachfolgenden Störfälle bis hin zum aktuellen GAU in Japan. Jede/r Einzelne kann aber auch einen Beitrag zum "Abschalten jetzt" leisten, und zwar nicht mit Appellen an Frau Merkel und Mahnwachen, sondern indem man den Atomstromkonzernen die rote Karte zeigt und - endlich - kündigt.

1 Kommentare:

Am/um 16. März 2011 um 18:55 , Anonymous mela meinte...

Denjenigen, die bereits zu Ökostrom gewechselt haben, bleibt eben nur die Politik, dafür zu sorgen, das auch alle anderen wechseln - also die AKW abgeschaltet werden. Und wie beeinflusst man die Politik? Da bleiben nur Demonstrationen, denn wählen darf man ja nur ganz selten. Übrigens laufen die Demos bereits seit längerem, nicht erst seit Japan, sondern schon seit der Laufzeitverlängerung.

Die aktuelle Berichterstattung bringt zusätzliche Aufmerksamkeit, so dass auch dem letzten klar wird, was er da verdrängt. Daher auch eine Chance den Aussteig voranzutreiben. Alternative wäre halt, Augen zu und weitermachen.

 

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