Sonntag, 3. Juli 2011

Nachtgedanken

Derzeit habe ich manchmal das Gefühl, alles mögliche anzuschieben, zu planen, anzufangen und trotzdem nicht so recht vorwärts zu kommen. Ich komme mir tatsächlich eher wie in einem Hamsterrad oder im Wartezimmer vor: Ich warte darauf, dass sich ein Käufer für die Kühe findet, dass ich mit meinem Streuobstwiesenprojekt anfangen kann, dass sich die Projektgruppe der Dorferneuerung endlich einen Ruck gibt und tatsächlich loslegt, und vielleicht warte ich auch auf einen Wink von oben, ob ich überhaupt noch auf dem richtigen Weg bin.

Ich kann mich noch daran erinnern, als ich damals in Kassel alle Bedenken und Zweifel über Bord warf und anfing Germanistik zu studieren, ein Studienfach für Träumer und potentielle Arbeitslose, brotlose Kunst, die nie zu einem geregelten und sicheren Einkommen führen würde, so meine besorgten Eltern. Ich jedoch dachte toll, super, jetzt kanns endlich losgehen.

Der Blick hinter die Kulissen ist immer ernüchternd, aber besonders hart trifft es einen, wenn so viele Hoffnungen und Sehnsüchte damit verbunden waren. Ich habe damals zu lange eine positive Fassade aufrechterhalten, mir eingeredet, dass ein Ortswechsel nach Berlin helfen würde, um dann letztlich doch unter dem drückenden Gewicht der schon lange vorher bekannten Wahrheit zusammenzubrechen, abzubrechen.

Germanistik, das war ein Traum, der in seiner kleinkarierten Uni-Realität nicht das halten konnte, was ich mir erhofft hatte, der mir Professoren vor die Nase setzte, die in ihrem Alltagstrott dahinvegetierten und nicht einmal ansatzweise den Mut und die Neugier hatten, über ihren beschränkten Horizont hinauszusehen und sich auf Beiträge der Studenten tatsächlich einzulassen.

Jetzt bin ich hier auf meinem Hof und in einer ähnlichen Lage, es geht nicht vorwärts und nicht zurück. Dass ich einmal sagen würde, 7 ha sind zuwenig, hätte ich nie gedacht, aber viel zu schnell bin ich mit meinem Tierbestand schon an die Grenzen gestoßen und sehe trotzdem nicht, wie ich irgendwann davon leben kann. Einen Einblick in die zahlreichen Verordnungen und Regelungen, die nötig sind, wenn man das Ganze professionell z.B. als Milchviehbetrieb mit Käserei betreiben will, habe ich bekommen, doch er schreckt mich eher ab, denn einige, gerade im Hinblick Tieruntersuchungen und Umgang mit Impfungen u.ä. (= ein Thema für sich), erscheinen mir völlig blödsinnig und sachlich nicht nachvollziehbar.

Und genau wie schon zu meinen Zeiten im Krankenhaus habe ich nunmal größte Schwierigkeiten damit, in solchen Fällen dann einfach den Kopf einzuziehen und mich an unsinnige Regeln zu halten. Wenn ich nicht mitmache, kann ich nichts verkaufen, weder Milch noch Käse und auch keine Tiere und muss immer damit rechnen, irgendwann aufzufallen oder mich strafbar zu machen. Meinen Kopf und den gesunden Menschenverstand kann ich aber auch nicht einfach am Eingang abgeben und kopf- und vernunftlos mitmachen.

Wieso hatte ich eigentlich angenommen, dass es hier anders sei? Wieso zieht sich dieses Dilemma wie ein roter Faden durch mein bisheriges Leben? Wieso lande ich immer wieder mitten in der Sackgasse und wieso finde ich auch jetzt wieder keine für mich akzeptable Lösung außer Abbruch und Flucht? Geht es anderen nicht ähnlich? Können sie noch ruhig schlafen, wenn sie gesunde Kälber und Kühe aufgrund einer vorgeschriebenen Untersuchung aussortieren und schlachten müssen? Wenn "Schreibtischverordnungen" mit der Realität und den tatsächlichen Verhältnissen nicht zusammenzubringen sind? Wenn man sich nach Recherchen im Internet irgendwie "verarscht" vorkommt?

Ich habe genug medizinisches Basiswissen während meines Studiums der biowissenschaftlichen Dokumentation und meiner Arbeit im Krankenhaus mitbekommen, um einige Ungereimtheiten zu erkennen, aber nicht genug, um eine Gegenargumentation erstellen zu können. Ich sehe wie die meisten Landwirte, die vom fachlichen her doch sehr viel mehr wissen und dementsprechend dagegenhalten könnten, den Kopf einziehen und mitmachen - aus Bequemlichkeit? Resignation? Gedankenlosigkeit? Und ich sitze wieder mal zwischen allen Stühlen und habe keine Ahnung, wie ich weitermachen kann, ohne mich komplett zu verbiegen.

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